Dienstag, 19. März 2013

Auch Kinder sind Menschen (Christine Nöstlinger)

A
"Aber alle anderen dürfen!" ist beliebtes kindliches Druckmittel. In den raren Fällen, wo es der Realität entspricht, sollten Eltern ihre Verweigerungshaltung überdenken.
B
Bedingungslos hat Elternliebe zu sein. Ein Kind muss sich ihrer gewiss sein, ganz egal, wie es sich benimmt.
C
Chinesisch lernen heutzutage perfekt geförderte Kindergarten-Knirpse. Ob sie es gern tun, ist fraglich.
D
Dankbar dürfen Eltern dafür sein, Kinder zu haben, Kinder hingegen schulden den Eltern keinen Dank.
E
Ehrgeiz mögen Eltern in eigene Leistung umsetzen und nicht an ihrem Nachwuchs abarbeiten.
F
Das Frühstück bleibt vielen Kindern im Halse stecken. Einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre in den meisten Fällen: sie von der Schulpflicht zu befreien.
G
Grenzen setzt das Leben den Kindern ohnehin reichlich, Eltern müssen sich nicht auch noch im beliebten Grenzen-Setzen üben.
H
Humor hilft im Leben immer; womit nicht gemeint ist, dass Eltern die Probleme ihrer Kinder mit munteren Scherzen weglachen können.
I
Indiskretion ist ein verbreiteter Tatbestand, wenn es um Kindergeheimnisse geht. Mütter, die heimlich das Tagebuch der Tochter lesen, sind das Allerletzte.
J
Jugend-Jargon muss erduldet werden, aber Kinder finden es peinlich, wenn sich ihre Eltern diesen Jargon selbst zulegen.
K
Kinderzimmer aufräumen ist Kindespflicht, doch welcher Zustand als "aufgeräumt" gelten darf, bestimmt der Bewohner des Zimmers.
L
Angeblich lügt jeder Mensch etwa zweihundertmal am Tag. Kinder sind auch Menschen!
M
Kindern zu Misstrauen erschwert nicht nur das Leben der Kinder, sondern auch das eigene _Leben ungemein.
N
Nachhilfe muss manchmal sein. Aber bitte nie von Mama, Papa, dem großen Bruder oder der großen Schwester. Das würde den Familienfrieden gewaltig trüben.
O
Einen tollen Opa oder eine tolle Oma zu haben gehört zum Besten, was einem Kind passieren kann.
P
Pausenbrote vergammeln gern in Schultaschen, was oft daran liegt, dass Kinder in der Pause, statt zu essen, schnell die Hausübung vom Sitznachbarn abschreiben.
Q
Mit einem Kind, das nie Quatsch macht, soll man schleunigst zum Psychologen gehen.
R
Respekt beruht auf Gegenseitigkeit. Kinder, die von den Eltern nicht respektiert werden, haben keinen Respekt vor den Eltern. Was möglicherweise wie Respekt wirkt, ist Angst.
S
Schule muss sein, muss aber nicht so wichtig genommen werden, dass sich alles in einem Kinderleben nur um die schulischen Leistungen dreht.
T
Eine tägliche Turnstunde wäre angeblich sehr gut für Kinder. Soll aber auch Kinder geben, für die das eine Horrorvision ist.
U
Manche Kinder sind Unschuldslämmer. An ihren Untaten sind stets andere schuld; wobei ihnen viele Mamas Hilfestellung geben, indem sie nach „schlechtem Einfluss" Ausschau halten und prompt fündig werden.
V
Verbote sollte man so sparsam wie möglich setzen, aber darauf achten, dass die unbedingt für nötig erachteten Verbote auch unbedingt eingehalten werden.
W
Dass Watschen gesund sein können, behaupten großgewordene geschlagene Kinder, die das miese Verhalten ihrer Eltern positiv zu interpretieren versuchen.
X
Ein Kind, das Xaver getauft wurde, hat das Recht, einen anderen Vornamen zu beantragen.
Y
Für den Kinder-Yoga-Kurs gilt das Gleiche wie für den Chinesisch-Unterricht.
Z
Zuneigung kann es gar nicht genug geben, da ist kein Übermaß möglich. Falls Eltern deshalb "Affenliebe" attestiert wird, mögen sie es gelassen hinnehmen. (Quelle: Christine Nöstlinger, Family, DER STANDARD, 11.3.2013)

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